CONVERSATIONS THAT MATTER
Zurück aufs Land? Mit Rainer v. Leoprechting und Monia Frühwirth
Früher lebten die meisten Menschen auf dem Land, bis die Industrialisierung zur Landflucht führte und die Menschen sich auf kleinem Raum in den Städten niederliesen, mit wenig oder gar keinen Elementen in ihrer nahen Umgebung, die sie an das Leben in der Natur zurückbinden konnten. Die jahrtausendelange Vergangenheit unsres Lebens in enger Verknüpfung mit der Natur machte sich immer wieder bemerkbar in einer oft stilisierten Sehnsucht nach dem einfachen Landleben, nach der Vertrautheit mit Mutter Erde. Romantische Strömungen in Literatur und Kunst drückten diese Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies aus, Wanderbewegungen entstanden immer wieder und auch der Auszug bestimmter Generationen “zurück aufs Land”.
In den 70ern wollten die Fortschrittlichen unter uns auswandern in die Toskana, dort verlassene Höfe übernehmen, das einfache Leben ausprobieren und gleichzeitig neue Lebensformen in einer Wahlgemeinschaft. Es war ein Aufbruch ins “grüne Meme”, in die Bewusstseinsstufe, die die Unnatürlichkeit unseres zivilisierten Lebens erkannt und seine Schädlichkeit für die Natur. Die ersten Versuche, eine Umweltbewusstsein zu entwickeln und eine Lösung zu erproben.
Diese Zeit hat mich persönlich geprägt. Obwohl ich im familiären 2000qm Garten als Kind nicht so begeistert war vom Helfenmüssen im Garten, war ich später doch immer wieder fasziniert über meinen Gemüsegarten im alten Bauernhaus in Sestdeutschland, das wir von Berlin aus oft an den Wochenenden und in den Ferien aufsuchten. Und dann landete ich, durch eine Reihe von Umständen, auf dem platten Land, nicht in der Toskana, aber in Umbrien, sozusagen gleich daneben.
In den 30 Jahren meines Lebens auf dem Lande habe ich unweigerlich viele Erfahrungen gemacht, viele positive, aber auch viele “negative”. Oder vielleicht könnte man sagen, dass meine Illusionen durch die Realität nicht immer sanft ersetzt wurden. Ich hatte über 100 Olivenbäume zu pflegen, Obstbäume, Weideland, einen riesigen Gemüsegarten, jede Menge Tiere von Katzen, Hunden, über Hühner, Gänse, Hasen bis zu Schafe und zeitweise sogar einen Esel und eine Kuh.
Es gab eine Menge zu lernen und die Tage waren meist vom Aufstehen bis zum Sonnenuntergang mit recht schwerer Arbeit auf dem Land verbunden. Ich begann, zu verstehen, warum Kunstdünger und Unkrautmittel erfunden wurde, wie auch Maschienen zur Landbearbeitung und die Notwendigkeit von geplanten Pflanzungen, um mit ihnen arbeiten zu können. Ja, und die Vorstellung vom Paradies, wo alle Tiere friedlich nebeneinander leben würden, war auch reif für den Komposthaufen, zunächst wenn ich meinem Hund beim Verspeisen meiner Hühner erwischte und auch, wenn ich eine lange Tage im Reifen beobachtete Melone eines Morgens von Stachelschweinzähnen bis zur Unkenntlichkeit zerstört vorfand. Naja, blöd gelaufen, aber das Leben im natürlichen Rhythmus ist allemal schön, oder, wie Jeff Salzman zu sagen pflegt: “beautiful, but not always pretty”.
Dennoch, ich erlag nicht der Versuchung, irgendwelche Chemikalien auf die Erde zu schütten und rackerte mich ab mit der Handhackmaschiene – oder eben mit der Handhacke, Sense u.ä. Davon wird man jedenfalls gesund müde, anders als nach einem Tag am Computer, aber den hatte ich über sehr lange Zeit noch nicht.
Um die anfallende Arbeit wenigstens grob bewältigen zu können, hatte ich von sehr früh an sogenannte Wwoofer (willing workers on organic farms), die gegen Kost und Logi ein paar Stunden am Tag mit arbeiteten, recht oder schlecht, je nach ihrer Begabung und Motivation, aber dennoch, ohne sie hätte ich es nicht geschafft. Dadurch und durch andere Gäste lernte ich eine riesige Anzahl von Menschen kennen und ihre höchst verschiedene Art, im Leben zu stehen und die Dinge anzupacken. Ein reicher Erfahrungsschatz, der auch beitrug zu meiner Motivierung, mehr über die Psychologie zu erfahren, was mich zu mehreren Ausbildungen führte und eben auch zu Ken Wilber’s integrale Theorie, die mir damals schlagartig die Augen öffnete über den merkwürdigen ZickZack Kurs den ich in meinem Leben genommen hatte, wie auch über die Menschen, die mir begegneten und deren Weltsichten. Es war eine spannende Zeit.
Gegenwärtig scheint es ja wieder eine Zurück-aufs-Land Bewegung zu geben, die Sehnsucht nach einer natürlicheren Art zu leben ist wieder verstärkt aufgetaucht, was sich in der Gründung von Ökodorfern, Gemeinschaften und andren Initiativen zeigt wie Vison Quests in der Wildnis. Ich denke, für die meisten Menschen heute, die in der Stadt aufgewachsen sind, ist es noch viel schwieriger, sich ein reales Bild von einer solchen lebensentscheidung zu machen, als es dies für mich war, die ich immerhin mit großen Grundstücken und Gärten groß geworden bin. Wie können die Menschen, die solche Phantasien in sich tragen, ein besseres Verständnis bekommen, was sie beim Landleben, erwartet vor allem wenn es “einfach” sein soll und Ressourcenschonend?
Wie oben schon erwähnt kann man über die Wwoof Organisationen temporär auf den verschiedensten landwirtschaftlichen Situationen mitarbeiten. Oder man kann sich privaten Initiativen anschließen und erstmal auf Probe leben an einem solchen Ort wie etwa der meine hier in Italien oder der von unsrem Gast in unserem Gespräch in Österreich. Mit meiner Ko-hosting Monia Frühwirth sprachen wir über diese freiwillige zurück-aufs-Land Erfahrung mit Rainer Leoprechting, der die Entscheidung weg vom sicheren Beruf zur Freiberuflichkeit und dem Leben auf dem Land vor einigen Jahren vollzogen hat und nun Menschen einlädt, auf seinem Anwesen ein gemeinschaftliches Leben zu erproben und dort zu verweilen, wenn es passt.
Beschreibung (auf Englisch) HIER
Im ONLINE SALON des”Integrales Forum” für den 8. April 2020
Über Rainer v. Leoprechting
Rainer v. Leoprechting *1965 in Deutschland. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Witten/Herdecke verbrachte er fast 18 Jahre im Dienst der EU Kommission, wo er in verschiedenen Managementrollen aktiv war. Er gründete die in-house Beratungsgruppe und leitete sie bis 2012.
Er verliess die EU-Institutionen und gründete eine Hof- und Lebensgemeinschaft in Ehrenhausen, Steiermark. Zweck der Gemeinschaft in Obenaus ist ein Leben im Verbund mit allen Generationen, nahe und im Einklang mit der Natur und schonend im Umgang mit Ressourcen. Die Gemeinschaft tritt in 2020 in eine neue Phase ein, Gebäude können ausgebaut werden und neue Mitglieder sind willkommen. Webseite: www.obenauscommunity.org
Er ist bekannt für seine Erfindung des pro action café (mit Ria Baeck) und ein Steward der Art of Hosting.
In Obenaus teilt er diese und viele weitere Praktiken wie systemisches Stellen (next stage constellations) mit Seminaren und Workshops. Weiters arbeitet er von Obenaus aus als Unternehmensberater mit Führungsteams. Er ist der deutsche Übersetzer von Otto Laske. Mit 2 Entwicklungsinterviews über je eine Stunde kann er die sozial-emotionale Reife (nach Robert Kegan) und die kognitive Praxis (Otto Laske) messen. Aus der Kenntnis der Entwicklung können er und seine Kollegen konkrete Empfehlungen geben für weiteres Coaching, für die Eignung für Positionen mit komplexer Verantwortung, für Weiterbildungs- und Talentprogramme in Unternehmen und Organisationen aller Art. Er hat einen Entwicklungs-Schnelltest entwickelt, mit dem große Zahlen von Bewerbern oder Mitarbeitergruppen ihren nächsten Karriereschritt oder die für sie in ihrer Entwicklung jetzt passende Ausbildung finden können. Auf einer Web-Plattform finden Menschen die Erfolgsmuster in Form kurzer Geschichten, die ihnen entsprechen, und die sie für die nächste Zukunft suchen. Die Entscheider rund um offene Stellen oder Positionen suchen ihrerseits die für sie passenden Erfolgsmuster aus. Wenn beide Seiten den gleichen Erfolg suchen, dann werden sie zusammengeführt.
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