CONVERSATIONS THAT MATTER
Integrale Weltsicht und die drei Gesichter Gottes mit Helmut Dörmann
Ko-Host Monia Frühwirth
Heidi schreibt
Viele von uns, die sich die integrale Weltsicht erschlossen haben, kommen auch zu einem neuen Verständnis von Gott, Religion und Spiritualität. Aber man muss die Welt nicht aus der integralen Perspektive sehen können, um sich auf einen spirituellen Lebensweg zu begeben.
Manche Menschen haben ein tiefes Erlebnis von Verstehen, von Einheit, von Liebe – die tatsächlichen Formen sind verschieden – und sie wissen vielleicht erst gar nicht, dass es sich um eine “spirituelle Erfahrung” handelt. Aber dieses Erlebnis bringt sie auf einen Weg der Suche, des verstehen Wollens, was da geschehen ist, und möglicherweise auch, so etwas noch einmal erleben zu wollen. Es gibt unzählige Wege für diese Suche. Manchmal führt sie in die Abhängigkeit von Sekten, manchmal zurück in die kulturell verwurzelte Religion des eigenen Landes, manchmal in eine generelle Erweiterung des Bewusstseins, ein Fortschreiten in der persönlichen Entwicklung bis hin zur integralen Stufe.
Auf der integralen Stufe können wir die Realität aus mehreren Perspektiven sehen und leben, es geht nicht mehr um richtig oder falsch, schwarz oder weiß; es geht darum, die verschiedenen Facetten wahrzunehmen und ihnen einen Platz zu geben. Nicht mehr “ja, aber…”, sondern “ja, und…” ist der Erkenntnisweg.
Auf dieser Stufe können wir wieder über GOTT sprechen, den wir vorher über Bord geworfen hatten zugunsten der rationalen Weltsicht, oder später geopfert den vielen auftauchenden spirituellen Wegen oder Scheinwegen. Auch die Dreifaltigkeit kommt zurück, in anderem Gewand, in den “Drei Gesichtern Gottes”: Der Gott in mir, der Gott als das DU, und der Gott, der über alles hinausgeht.
Die Gesichter Gottes kannst Du sehen, wenn Du selbst in den Spiegel schaust, wenn Du einem anderen Menschen ins Gesicht blickst und wenn Du das Wunder all dessen, was ist, bemerkst. Das ist eine Sprache, mit der es vielen von uns leicht fällt, uns der spirituellen Dimension “integral” zu öffnen. Nicht nur Gebete zu einem Gott, der irgendetwas richten soll, sondern uns selbst als göttliches Wesen betrachten können, das selbst aufgerufen ist, sich um Heilung und Ganzheit zu kümmern, im Einklang mit der Natur, den kosmischen Gesetzen, nicht etwa vom Ego ausgehend. Damit wird GOTT zu einer Art Feld, in dem sich alles Leben abspielt und zu dem wir alle, auf der von uns gewählten Art, schöpferisch beitragen.
Religion als die Formgebung von Spiritualität kann damit wieder einen würdigen Platz in uns von der Moderne und Postmoderne gebeutelten Menschen einnehmen. Wenn man selbst solch ein spirituelles Erlebnis hatte, von dem ich oben sprach, ist dies natürlich wesentlich einfacher, denn man muss nicht mehr länger nur glauben, man weiß es mit Gewissheit. Durch spirituelle Übungen kann man den Boden bereiten, damit solche Erlebnisse eintreten können, die es uns leichter machen, den Sinn unseres Daseins zu begreifen, Entsprechendes zu fühlen und uns entsprechend zu verhalten.
Vielleicht hattest Du ja solche Erfahrungen, sie aber nie als “spirituell” eingeordnet? Vielleicht machst Du Extremsport, oder vergisst die Zeit bei einem Waldspaziergang? Oder Du schaffst ein Kunstwerk und tauchst erst wieder ins “normale Leben” auf, wenn es fertiggestellt ist? All das ist “Spirit in Action”, Momente von erweitertem Bewusstsein, die als spirituelle Verbindung mit dem Göttlichen gesehen werden.
Im Gespräch mit unserem Gast, Helmut Dörmann, ergründen wir die Qualität von spiritueller Erfahrung und wie sie sich auf das weitere Leben ausgewirkt hat. Vielleicht findest Du eine Anregung oder eine Erinnerung an dein eigenes Leben und Erleben!
Helmut schreibt
Ich möchte jetzt eine sehr persönliche Erfahrung wiedergeben. Ich möchte von einer Einheitserfahrung (Unio Mystica) berichten, die ich vor 32 Jahren erleben durfte. Zu diesem Zeitpunkt war ich 23 Jahre jung. Ich war – so sehe ich es jetzt – spirituell suchend. Diese Erfahrung hat mich nicht nur nachhaltig geprägt, sondern mein Leben völlig neu ausgerichtet. Dabei bin ich mir bewusst, dass ich etwas beschreiben möchte, was eigentlich nicht (oder kaum) zu beschreiben ist. Um es für Sie als Leser nachvollziehbar zu machen, benutze ich das Konzept oder die Idee der drei Gesichter Gottes.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich morgens in dem Buch Die Kunst des Liebens von Erich Fromm gelesen hatte. Am Nachmittag ging ich etwas gedankenverloren in einem sehr schönen kleinen Wäldchen spazieren. Dann, aus heiterem Himmel, einfach so, kam ich in einen Zustand der Erleuchtung und Glückseligkeit. Jetzt beim Schreiben merke ich, wie plump doch Worte sind. Für die Erfahrung gibt es einfach nicht die passenden Worte. Aber gut, ich will den Fluss nicht weiter stoppen.
Ich spürte von einem Moment auf den anderen: Ich bin Licht. Ich erlebte mich als Lichtwesen, als etwas „Heiliges“. Jede Faser, jede Zelle von mir war Licht und strahlte. Da gab es nichts Schattenhaftes, nichts Störendes. Ich war vollkommene Liebe. In mir öffnete sich eine unglaubliche Weite und Grenzenlosigkeit. Gleichzeitig gab es kein ICH mehr. Ein Zustand, das sei an dieser Stelle gesagt, den ich nie wieder erlebt habe. Leider!
Ich war Teil der Schöpfung. Diese Erkenntnis kam zu meinem Empfinden über mich selbst dazu. Ich schaute mich um und sah, dass auch der Wald, die einzelnen Bäume, der Waldboden, die Vögel um mich herum dieses Licht ausstrahlten. Alles um mich herum schien wie über Lichtfäden miteinander verbunden zu sein. Auf einen Schlag erkannte ich, dass die Bäume, der Waldboden, alles, was lebt, Gottes Schöpfung und gleichzeitig Gott selbst ist. Wobei Gott in einer Person nicht erschien. Aber für mich war klar: Dieses Licht, die Verbundenheit und dieses unglaubliche Gefühl von Liebe ist Gott.
Ich blieb noch eine ganze Weile dort im Wald. Als ich anschließend nach Hause kam, war ich immer noch – auch wenn etwas abgeschwächt – in diesem Zustand der Glückseligkeit. Ich blieb einige Tage in diesem Zustand, auch wenn die Intensität doch merklich abnahm. Ich zog mich zurück von meiner Umwelt, bin aber dann doch am nächsten Tag zu einer Geburtstagsfeier eines Freundes gegangen. Ich wusste allerdings nicht, wie ich mich dort verhalten sollte. Der Zustand hielt an, und ich sah auch dort in dem Wohnzimmer diese Verbundenheit von allem. Ich sah, wie alle Anwesenden dort mit sichtbaren goldenen Fäden verbunden waren. Und diese Fäden leuchteten genauso wie die Menschen selber von innen heraus. Ich saß einfach stumm da und war außerstande, dazu etwas zu sagen. Ich sah auch, wie Blumen Licht ein- und ausatmeten.
Als der Zustand der Erleuchtung dann ganz und gar abgeklungen war, fiel mir eine Last von den Schultern. Ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesem Zustand umgehen sollte. Und ich wusste das, was mir widerfahren war, nicht einzuordnen. In den ersten Jahren nach dieser Erfahrung hatte ich niemanden, mit dem ich darüber sprechen konnte. Ich habe es dann Freunden erzählt. Diese hielten mich schlichtweg für verrückt und fragten danach, ob ich Drogen genommen hätte. Einem Pfarrer konnte und wollte ich es auch nicht erzählen. Zu einem Therapeuten hatte ich keinen Bezug. Ich war allein damit, und dennoch fühlte ich mich unglaublich beschenkt.
In mir, so spürte ich, war Gott erwacht. Seitdem spüre ich eine tiefe Sehnsucht, dieses Erwachen wieder zu erleben. Bildlich gesprochen ist es so: Mich zieht etwas (Gott in mir) am Schopf. ES zieht mich nach vorne. Der erwachte Teil in mir drängt mich, dieses Licht in die Welt zu tragen.
Auszug aus dem Artikel: Integrale Weltsicht und die drei Gesichter Gottes. Download den ganzen Artikel HIER
Im ONLINE SALON des”Integrales Forum” für den 12. Februar 2020
Jahrgang 1957, ist Gestalttherapeut und arbeitet als Koordinator für einen ambulanten Hospizdienst. Er ist spiritueller Lehrer für integrale Mystik im Würzburger Forum der Kontemplation, Lehrer der Kontemplationslinie „Wolke des Nichtwissens“ und Referent bei DIA (Die Integrale Akademie
Er absolvierte ein dreijähriges Training in transpersonaler Psychologie. In seinem Wirken bezieht er sich auf eine integrale, spirituelle Lebenspraxis.
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